"Beim Neubau immer die Lüftungsanlage mitdenken"
bauiq: Herr Professor Strauß, Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Optimierung von Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung – einer Technik, von der viele Experten sagen, sie wird einen wesentlichen Beitrag leisten zur Erreichung der Klimaschutzziele im häuslichen Bereich. Vielen Menschen aber ist die kontrollierte Wohnraumlüftung gar kein Begriff. Sind Sie Ihrer Zeit voraus?
Prof. Strauß: Dass Lüftungsanlagen in Wohnungen noch nicht so bekannt sind, hat sicher damit zu tun, dass die Technik noch relativ teuer ist und viele Leute sich unter einer ‚Lüftungsanlage‘ nicht immer Angenehmes vorstellen. Die Menschen kennen Lüftungstechnik aus Hotels oder von der Klimatisierung im Auto oder im Flugzeug und haben oft keine guten Erfahrungen gemacht: sie ist laut, es zieht, es ist zu kalt oder zu warm. Auch in Theatersälen oder Schulräumen ist die Luft oft schlecht, trotz Lüftungstechnik. In einer Wohnung jedoch, wo wenige Leute auf viel Raum leben, ist das natürlich etwas ganz anderes. Wenn eine Lüftungsanlage richtig eingebaut und gut eingestellt ist, bemerkt man sie nicht. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, man spürt auch keinen Luftzug. Die Luft ist frisch, obwohl niemand ein Fenster geöffnet hat.
bauiq: Bietet sich der Einbau einer Wohnraumlüftungsanlage nur bei Neubauten an, oder auch für bestehende Gebäude?
Prof. Strauß: Die generelle Aufgabe, die sich bei der Lüftungstechnik stellt, lautet: Man muss sie unterbringen können. Schließlich sind die Leitungen nicht gerade fingerdick. Im Altbau ist es nachträglich meist schwieriger, Lüftungssysteme einfach und unauffällig zu integrieren. Auch das Lüftungsgerät selbst mitsamt Schalldämpfer benötigt seinen Platz. Dennoch hat eine Lüftungsanlage im Altbau - genauso wie in einem Neubau - ihre Berechtigung, nachdem dort die Undichtigkeiten in der Gebäudehülle beseitigt wurden. Beim Neubau empfehle ich immer, eine Lüftungsanlage schon mitzudenken. Das ist eigentlich ein ‚Muss‘. Das heißt, den Platz für das Gerät einzuplanen und schon Rohre und Leitungen an unzugänglichen Stellen zu verlegen, um später rasch und kostengünstig eine Lüftungsanlage anschließen zu können. Das bedeutet ein bisschen Planungsaufwand und eine Investition von vielleicht Tausend Euro. Wenn also jemand sich momentan noch unsicher ist, ob er die Technik installieren möchte oder nicht, rate ich ganz dringend, alles für einen späteren Einbau vorzubereiten. Spätestens bei einem Verkauf des Hauses rechnet sich das. Möglicherweise ist dann eine Lüftungsanlage Standard und der Wert des Hauses wird sich auch daran orientieren, wie teuer die Nachrüstung ist.
bauiq: Die KfW-Förderung ist an das Erreichen eines bestimmten Energieniveaus gekoppelt und auch laut Energieeinsparverordnung müssen alle Neubauten hohen Ansprüchen genügen, was den Energiehaushalt angeht. Ohne Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ist das kaum möglich, oder?
Prof. Strauß: Ab einem gewissen baulichen Standard oder energetischen Anspruch kommt man nicht mehr ohne Lüftungsanlage aus. Deswegen werden Lüftungsanlagen auch kommen, das ist richtig. Für die Zukunft ist das eine ganz wichtige Technik. Ich glaube aber, der Ansatz, dass sich die Lüftungsanlage unbedingt über die Energieeinsparung rechnen muss, ist falsch. Eine Klimaanlage rechnet sich ebenfalls nicht, genau so wenig wie ein Balkon. Eine Lüftungsanlage ist insbesondere auch eine Frage des Komforts und der Hygiene.
bauiq: Komfort sowie gesunde, frische Luft ist natürlich etwas, das ich mir mit einer Wohnraumlüftungsanlage gönne, aber wenn die Bundesregierung sagt, 2050 sollen alle Häuser klimaneutral sein, dann bewegt sich doch alles Richtung Effizienz- und Passivhaus – und man wird nicht umhin kommen, energiesparende Lüftungsanlagen wirklich als notwendig zu erachten.
Prof. Strauß: Am Ende wird sich nur über den Energiepreis etwas ändern. Zwei Szenarien sind vorstellbar. Erstens: Energie wird knapp und dadurch teuer. Zweitens: Die Politik macht Energie teuer. Die Politik macht sie nur dann teuer, wenn sie endlich versteht, dass Klimaschutz vielleicht doch wichtig ist. Ich bin aber optimistisch, dass das in den nächsten zehn Jahren passiert, vielleicht auch schon etwas früher.
bauiq: Niedrigenergiehaus, Passivhaus als Treiber der kontrollierten Wohnraumlüftung - sehen Sie da einen Spielraum, um die Kosten zu senken?
Prof. Strauß: Sicher können die Preise noch ein bisschen sinken, wenn die Stückzahlen steigen, da ist schon noch Luft. Aber so ganz klein sind die Stückzahlen auch nicht mehr. Die etwas größeren Hersteller produzieren einige Zehntausend Einheiten im Jahr. Auch in der Entwicklung tut sich einiges. Aktuell ist ein Wettbewerb vom Passivhausinstitut ausgeschrieben: Hersteller von Lüftungsgeräten sind aufgefordert, für eine Wohnung in einem fiktiven Mehrfamilienhaus eine Lösung zu erarbeiten. Es soll bewertet werden, wie funktional die Lösung ist, wie leicht sie sich einbauen lässt, was sie kostet. Als Jurymitglied bin ich gespannt auf die Vorschläge. Ich kann mir vorstellen, dass es bei der Konstruktion der Lüftungsgeräte irgendwann mal in diese Richtung geht: Klein und nicht ganz so effizient, was die Wärmerückgewinnung angeht – aber dafür günstiger. Momentan läuft es allerdings noch umgekehrt, was teilweise auch an der Förderung liegt, da eben nur gefördert wird, wenn gewisse Kriterien und Kennzahlen erreicht werden.
bauiq: Lüftungsanlagen haben ja neben energiesparenden Wirkungen gerade im Niedrigenergiehaus auch noch die Funktion, übermäßige Luftfeuchtigkeit abzuführen. So kann Schimmel vermieden werden und die Bausubstanz bleibt erhalten. Auch hygienische, gesundheitliche Aspekte spielen eine Rolle. Wie bewerten Sie das?
Prof. Strauß: Auch durch Fensterlüftung ist es möglich, Schimmelbildung zu vermeiden. Dazu müssen Sie aber viel Disziplin und Sorgfalt aufbringen. Und wenn Wohnungen schlecht gebaut sind, mit Kältebrücken etwa, oder wenn Schränke vor den Wänden stehen, geht es mit der Fensterlüftung schief. Eine Lüftungsanlage kann dies vermeiden. Ein anderes Beispiel: Wir haben im Garten in den letzten Jahren häufig brütende Elstern. Wenn sie frühmorgens lautstark Katzen oder andere Vögel vertreiben, sind wir froh, wenn das Fenster zu bleiben kann. Das Gleiche gilt, wenn die Wohnung an einer lauten Straße gelegen ist oder an der Bahnstrecke – dann hält die Lüftungsanlage den Lärm draußen und auch den Staub, wenn entsprechende Filter eingebaut sind. Als Pollenallergiker ist man mit der gefilterten Luft sowieso im Vorteil. Oder nehmen Sie die banale Frage, wer abends nochmal aufsteht und das Fenster öffnet, bevor man einschlafen möchte. Es sind auch diese Sachen, bei denen ich denke: Einfach angenehm, eine Lüftungsanlage zu haben.
bauiq: Als potenzieller Nutzer einer Lüftungsanlage stelle ich mir auch die Frage, wie treffe ich eigentlich die Entscheidung, welche Anlage für mich die richtige ist? Wie kann ich mich informieren? Auf welche Werte muss ich achten?
Prof. Strauß: Ich stand selbst vor diesem Problem bei der Sanierung meines Hauses. Am Ende ist es meist doch der Fachhandwerker, der den Ausschlag gibt: Mit welchem Hersteller arbeitet er gut zusammen? Wie überzeugt ist er von den Produkten? Wenn er mit einem Gerät gute Erfahrungen gemacht hat, wird er es wieder empfehlen. Sicher werden Sie als informierter Verbraucher , den Namen des einen oder anderen Unternehmens schon einmal gehört haben. Sich aber dann weiter an Kennzahlen in den Katalogen zu orientieren, ist schwierig. Ein Prozent mehr oder weniger Wirkungsgrad merken Sie nicht. Und wenn bei einem Gerät die Motoren früh kaputt gehen, steht das auch in keinem Prospekt. Den Endkunden würde ich raten: Fragt den Installateur nach Qualitätsherstellern, von denen er überzeugt ist, und ob es die Möglichkeit gibt, sich eine bereits eingebaute Lüftungsanlage einmal anzuschauen – und zu hören, dass man sie nicht hört.
bauiq: Herr Professor Strauß, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Heike Schlenkermann und Bernd Festerling